70 Jahre Zwangseingemeindung von Knielingen in die Stadt Karlsruhe Vor 70 Jahren wurde Knielingen von der Stadt Karlsruhe eingemeindet. An dieser Stelle wollen wir auch in den nächsten Ausgaben des Knielingers den Prozess der Eingemeindung dokumentieren.
1. Ausgangslage
Knielingen als ältester Stadtteil Karlsruhes hatte schon immer eine geopolitische Sonderstellung im Karlsruher Raum:
– Lage an einer zentraleuropäisch wichtigen Wasserstraße – Große Fläche, wirtschaftlich bäuerlich geprägt – Grenzgemeinde zur bayr. Pfalz und Elsass:
2. Situation zu Beginn des vorigen Jahrhunderts Im Zuge der zunehmenden Industrialisierng wurden drei Schwerpunktthemen für die Stadt Karlsruhe von immer größerer Bedeutung:
– der Bau und Ausbau des Rheinhafens für Transport und logistische Unterstützung der industriellen Leistungen; – die große Fläche Knielingens bot sich an, um Industrie und Neubürger am Rand von Knielingen anzusiedeln; – durch den Bau einer großen Rheinbrücke ist die infrastrukturelle Anbindung von Pfalz und Elsass gegeben, zusätzliche Arbeitskräfte und Konsumenten knnen die Wirtschaftskraft der Stadt Karlsruhe steigern; 3. Eingemeindungsprozess Seit 1926 nahm daher die Stadt Karlsruhe Gespräche mit dem Gemeinderat Knielingens zur Eingemeindung auf. Der Knielinger Gemeinderat und vor allem der letzte Knielinger Bürgermeister Jakob Dörr weigerten sich beharrlich, da eine Eingemeindung Knielinges für seine Bürger keine erkennbaren Vorteile brachte. Knielingen verwies dabei immer wieder auf die Tatsache, dass die Knielinger Finanzlage sehr gut aussah und die Knielinger Abgaben zum Teil deutlich geringer für die Bürger waren als dies unter Karlsruher Hoheit wäre.
Die Verhandlungen stockten bis ins Jahr 1933.
Nach der Machtergreifung war das Schicksal Knielingens durch die Gleichschaltung von Reich, Ländern und Kommunen besiegelt. Bürgermeister Jakob Dörr wurde entlassen und die neue Landesregierung entschied trotz vehementen und zu dieser Zeit sehr mutigen Widerstands der Knielinger Vertreter, Knielingen in die Stadt Karlsruhe einzugemeinden.
Als historisches Zeitzeugnis drucken wir im folgenden eines der ersten Schreiben zu diesem Vorgang.
Schreiben des Oberbürgermeisters der Landeshauptstadt Karlsruhe vom 26.
Juli 1933 an das Badische Staatsministerium An den Herrn Minister des Innern, hier.
Schon die Arbeiten für den Generalbebauungsplan der Stadt Karlsruhe im Jahre 1926 zeigten mit aller Deutlichkeit die enge Verflochtenheit der Interessen der Stadt Karlsruhe mit der Gemeinde Knielingen auf städtebaulichem und verkehrspolitischem Gebiet und in Fragen der Industrieansiedlung. Die Ausdehnung der Stadt drängt nach Westen und Nordwesten zum Rhein hin, Knielingen ragt aber mit seiner Gemarkung tief in das Stadtgebiet herein, gefährdet den organischen Ausbau des Rheinhafens, die zweckmäßige Erschließung neuen Industriegeländes, nimmt Karlsruhe die Einflußmöglichkeit auf die Führung der geplanten Kraftverkehrsstraße Ost-West, auf die Gestaltung der Zufahrtsstraßen zur neuen Rheinbrücke bei Maxau und erschwert die künftig notwendig werdende Durchführung der Entwässerung des Stadtteils Daxlanden, die die Leitung eines Kanals durch Knielinger Gebiet erforderlich macht.
Als die Stadt Karlsruhe sich mit Schreiben an den Herrn Minister des Innern vom 31. Januar 1928 zur Leistung eines verlorenen Zuschusses zur Erstellung einer festen Rheinbrücke bei Maxau in Höhe von 1 225 000 RM bereit erklärte, betrachtete sie die Eingemeindung als Voraussetzung hierzu. Der Herr Minister des Innern bezeichnete das Zustandekommen einer Vereinbarung über den Zusammenschluß der beiden Gemeinden als erwünscht.
Besprechungen im Mai 1928 mit dem Bürgermeister von Knielingen ergaben, daß die Knielinger Gemeindekollegien mit einer bäuerlich-konservativen Mehrheit der Eingemeindung nicht günstig gesinnt waren. Mit Rücksicht auf die Stimmung der Knielinger Bevölkerung wurde die Eingemeindung von Knielingen nicht weiter betriebe, der Stadt Karlsruhe wurde jedoch gestattet, die Verhältnisse der Gemeinde Knielingen festzustellen.
Im allgemeinen ist zu bemerken:
Knielingen wird bereits seit den Kriegsjahren von Karlsruhe mit elektrischem Strom versorgt, und zwar zu dem gleichen Tarif wie die Karlsruher Bevölkerung. Die Zellulosefabrik Vogel & Bernheimer in Maxau ist ebenfalls an das städt. Netz angeschlossen. Die Straßenbahn fährt seit 1925 nach Knielingen; die Wagendichte ist die gleiche (16
Minutenverkehr) wie nach dem Stadtteil Daxlanden.
Die Steuersätze liegen in Knielingen wesentlich höher als in Karlsruhe.
Im Rechnungsjahr 1932 erhoben je 100 RM Steuerwert Knielingen Karlsruhe Pfg. Pfg.
für Grundvermögen
bebaut 90 70
unbebaut 90 90
Wald 90 60
für Betriebsvermögen 34 34
für Gewerbeertrag
bis 10 000 RM 535 450
über 100 000 RM 545 495
Der Bürgernutzen besteht in Knielingen in 3 Klassen mit zusammen 542 Losen. Die 1. Klasse umfaßt 530 Genußberechtigte mit einer Nutzung von je 46,48 ar Acker und wiesen, 2 Ster Brennholz und 50 Stück Wellen, die 2. Klasse 2 Genußberechtigte mit einer Nutzung von je 46,48 ar Acker und Wiesen, die 3. Klasse 10 Genußberechtigte mit einer Nutzung von je 2 Ster Brennholz und 50 Wellen.
Außerordentlich ungünstig liegen die Verhältnisse der Gemeindesparkasse Knielingen, die bei einem Einlagenbestand von etwa 700 000 RM infolge von Veruntreuungen Verluste von rd. 260 000 RM aufzuweisen hat.
Die Eingemeindung von Knielingen würde den Einwohnern der Gemeinde keine Nachteile, sondern nur Vorteile bringen. Der Bürgernutzen würde den heute im Genuß befindlichen Bürgern auch weiterhin gewährt oder durch eine Geldrente abgelöst werden. Ob bzw. bis zu welchem Zeitpunkt der Antritt des angeborenen Bürgerrechts weiterhin zuzugestehen wäre, bedürfe noch der Regelung. Die Anwendung der Karlsruher Steuersätze, ebenso die Übernahme der Sparkassenverluste auf die Stadt Karlsruhe bzw.
die Städt. Sparkasse Karlsruhe würden eine wesentliche Entlastung der Knielinger Einwohnerschaft bedeuten.
Trotzdem erachte ich die Eingemeindungsverhandlungen, die ich demnächst aufnehmen will, für wenig aussichtsreich. Die Schwierigkeiten, die die Gemeinde Knielingen der Stadt Karlsruhe bei der Vornahme von Geländeaufteilungen und bei der Kehrrichtabfuhr bereitet, ebenso wie das Schreiben des Bürgermeisteramts Knielingen an das Arbeitsamt Karlsruhe vom 19. Juli 1933 (das in Abschrift anliegt), in dem die Gemeinde Knielingen erklärt, die Duldung der Vornahme auch nur eines Spatenstichs für den Bahnenbau auf ihrem Gelände zu verweigern, sofern nicht ihre sämtlichen 800 Arbeitslosen, die z.T. sogar noch Landwirtschaft betreiben, bei der Erstellung des Bahndamms beschäftigt werden, zeugen von einer außerordentlichen Eigenwilligkeit und Unduldsamkeit. Dieselben ungüstigen Erfahrungen mußte ich auch bei den Verhandlungen wegen Vereinigung der Gemeindesparkasse Knielingen mit der Städt. Sparkasse Karlsruhe machen; obgleich die Stadt Karlsruhe größtes Entgegenkommen bewies, stieß sie, selbst bei den letzten Besprechungen im Ministerium des Innern, auf ein jeder Sachlichkeit entbehrendes, völlig ablehnendes Verhalten der Vertreter der Gemeinde Knielingen.
Da, wie bereits eingangs erwähnt, lebenswichtige Interessen der Stadt Karlsruhe durch die Gemeinde Knielingen berührt werden, die Gemeinde Knielingen aber allen Maßnahmen Dritter, sogar dem für ganz Südwestdeutschland bedeutenden Rheinbrückenbau bei Maxau ohne sachliche Gründe aus bloßem Eigennutz Hinternisse bereitet, erachte ich zur Beseitung der Schwierigkeiten die Eingemeindung von Knielingen mit Karlsruhe für unumgänglich. Hierbei bin ich mir bewußt, daß die Eingemeindung für Karlsruhe keinen finanziellen Vorteil bringt. Die rechtzeitige Wahrung schwerwiegender Belange, die sich in ihrer ganzen Bedeutung erst künftig auswirken werden, veranlassen mich aber, auch augenblickliche Belastungen in Kauf zu nehmen. Ich bitte deshalb, die Einverleibung der Gemeinde Knielingen mit Karlsruhe gemäß § 4 Abs.1 der Gemeindeordnung im öffentlichen Interesse ins Auge zu fassen.
2.) Nachricht hiervon mit der Bitte um Kenntnissnahme und Unterstützung der Stadt Karlsruhe in ihren Bestrebungen auf Eingemeindung von Knielingen.
Zimmermann, Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Karlsruhe